Keine Euphorie für den Fast-Kanzler: Friedrich Merz dimmt die Stimmung
Die CDU stellt ihre Kabinettsmitglieder vor und stimmt dem Koalitionsvertrag zu. Euphorie will der Fast-Kanzler Friedrich Merz nicht aufkommen lassen.
Wenn auf einem CDU-Parteitag die Zahl der Presseleute die der Delegierten übersteigt, weiß man: Es geht um wichtige Dinge. So ist es auch an diesem Montag auf dem sogenannten Bundesausschuss der Union im Hotel Estrel im Berliner Stadtteil Neukölln. 160 Delegierte sind eingeladen, um den mit der SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag abzusegnen. Ihre Zustimmung war von Anfang an sicher, weshalb sie an diesem sonnigen Tag, acht Tage vor der Kanzlerwahl im Bundestag, eher als Statist:innen fungieren.
Mehr Aufmerksamkeit bekommen die neuen Ministerinnen und Minister, deren Namen am Morgen per Pressemitteilung offiziell bekanntgemacht worden waren. Die Liste ist eine Mischung aus „längst bekannt“, „zumindest geahnt“ und „faustdicke Überraschung“.
Kabinett Merz: Neben Wadephul gibt es auch Überraschungen
Zu den Personalien, mit denen man rechnete, gehört die Besetzung des Außenministeriums mit dem CDU-Abgeordneten Johann Wadephul. Er selbst hatte sich bereits seit Wochen angeboten, wohl aber bis zum Schluss noch gefürchtet, dass es schiefgehen könnte, denn am Montag im Bundesausschuss zeigt er sich geradezu selig.
Man werde nichts überstürzen, sagt er. Er sei großer Fan, sich an die Abläufe zu halten und nicht sofort ungeplant aufzubrechen – vermutlich auch ein Grund, warum Merz ihn wählte. Dieser Außenminister wird dem außenpolitisch orientierten Kanzler nicht in die Parade fahren. Ein erster Besuch in den USA finde im „Frühjahr“ statt, sagt Wadephul. Wann genau, weiß er noch nicht, es wird aber erst geschehen, wenn er sich im Außenministerium eingerichtet hat. Aber: Sollte er gleich eingeladen werden, würde er seinen Kalender natürlich sofort freiräumen.
Es ist nicht die Zeit für Euphorie, um uns herum wanken die Säulen, denen wir das letzte Jahrzehnt vertraut haben.
Eine der wohl größten Überraschungen ist sicherlich die Besetzung des neuen Bundesministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung mit Karsten Wildberger. Man hatte damit gerechnet, dass Merz dafür jemand von außerhalb des Politikbetriebs wählen könnte, den 56-jährigen promovierten Physiker und Manager aus Hessen hatte aber niemand auf dem Schirm. Das Gleiche gilt für den Publizisten Wolfgang Weimer, der Kulturstaatsminister werden soll.
Favorit Joe Chialo nimmt es sportlich – Merz dämpft die nicht vorhandene Euphorie
Bis kurz vor Schluss war dafür noch der Berliner Kultursenator Joe Chialo im Rennen, der die Niederlage am Montag sportlich nahm. Er hätte „total Lust darauf gehabt“ und sich auch schon eigene Schwerpunkte überlegt, sagt Chialo der Frankfurter Rundschau am Montag. Merz habe ihn aber vergangene Woche im Urlaub auf Mallorca angerufen und abgesagt. „Ich nehme an, dass er eigene Ansichten zur Ausrichtung und Politik des Kulturstaatsministers hat“, so Chialo. Angesichts der Personalentscheidung dürften diese Ansichten konservativ sein – sehr konservativ.
Das gilt nicht nur für die Kulturpolitik – das macht Friedrich Merz in seiner knapp einstündigen Rede klar. Zu Beginn dimmt er gleich mal die ohnehin eher verhaltene Stimmung weiter herunter. Die schwarz-rote Koalition werde kein gesellschaftspolitisches Projekt werden, sagt er und fügt hinzu: „Es ist keine Euphorie.“ Das Vertrauen in die Demokratie sei beschädigt wie nie in der Nachkriegszeit. „Die Wirtschaft schwächelt und fällt immer weiter zurück und das geeinte Europa ist bedroht“, so Merz.

Es sei bedroht durch den imperialistischen Krieg Russlands, aber auch „wegen der Verunsicherung seiner eigenen Bürger“. Die Menschen erlebten einen Staat, der nicht mehr liefert, wofür er Steuern erhebt. Sie erwarteten zu Recht, „dass wir das alles verändern“. Die neue Regierung bilde daher eine „Arbeitskoalition“. Sie stehe in der Pflicht, Erfolg zu haben.
Danach wendet er sich den globalen Herausforderungen und der Außenpolitik zu. „Es ist die Grundvoraussetzung für alles, was innenpolitisch folgt“, sagt Merz. Die Unterstützung für die Ukraine sei weiterhin absolut wichtig, denn ein Kampf gegen Russland sei auch ein Krieg für die Freiheit in unserem Land. Auch Deutschland sei unmittelbar bedroht – mindestens durch Sabotageakte und systematische Falschinformation. Die Hilfe für die Ukraine sei aber eine gemeinsame Anstrengung der Europäer, zusammen mit den USA. „Wir sind nicht Kriegspartei und wollen es auch nicht werden“, sagt Merz. „Aber wir sind auch nicht unbeteiligte Dritte oder Vermittler“. Man stehe „ohne Wenn und Aber an der Seite dieses angegriffenen Landes“ und wolle dafür werben, dass das auch die USA weiter so sehen.
Politikwechsel in Sachen Migration: Merz will „Rückführungsoffensive“
Bei den Herausforderungen in der Innenpolitik nennt Merz die Migration, auf die Deutschland seit zehn Jahren keine Antwort finde. Deutschland sei ein Einwanderungsland, versichert er. Wer hier seit Jahrzehnten lebt und arbeitet, sei willkommen. Aber man müsse die „illegale Migration mehr in den Griff bekommen, als uns das bisher gelungen ist“. Man habe daher mit der SPD grundlegende Vereinbarungen getroffen.
„Wir werden ab Tag eins unsere Staatsgrenzen noch mehr kontrollieren“, ruft Merz und stellt eine „Rückführungsoffensive“ in Aussicht, auch nach Afghanistan und Syrien. Auch die beschleunigten Einbürgerungsverfahren sollen „zurückkorrigiert“ werden. Damit werde es in Deutschland mit der Übernahme der Regierung in der kommenden Woche einen Politikwechsel geben.